Projektinhalt

Im Zentrum des Forschungsvorhabens stand die Frage, inwieweit die in der Bundesrepublik zu beobachtende expansive Entwicklung der Stromerzeugung aus regenerativen Energiequellen zu neuen systembedingten Herausforderungen sowie   perspektivisch betrachtet   zu einem Systemwandel des Elektrizitätssektors führt. Die in den letzten Jahren zu verzeichnenden Veränderungen im Stromsektor sind in der energiepolitischen Debatte zunehmend als ein sich verschärfender „Systemkonflikt“ entschlüsselt worden   wobei man zwei Varianten unterscheiden kann. In der einen Variante wird der Systemkonflikt vor allem als grundlegender Technikkonflikt wahrgenommen: Schon heute sei absehbar, dass die von den Stromkonzernen geplanten Kohlekraftwerke nicht mit einem auf Dauer zunehmenden Anteil an regenerativ erzeugtem Strom im Netz vereinbar sein würden. In einer anderen Variante wird der Systemkonflikt als gesellschaftlicher Konflikt gesehen: Auf der einen Seite stehe die überkommene oligopolistische Energiewirtschaft, die mit allen Mitteln den Weg hin zu einer hundertprozentigen Versorgung mit erneuerbaren Energien behindere. Auf der anderen Seite sei eine breite gesellschaftliche Bewegung zu erneuerbaren Energien entstanden, die sich den „Energiewechsel“ auf ihre Fahne geschrieben habe. Diese Bewegung umfasse zwar unterschiedliche Akteursgruppen - von Bürgerinitiativen über Stadtwerke und Industrieunternehmen bis hin zu Kreditinstituten, ziehe aber letztlich an einem Strang.

Unseren empirischen Ergebnissen zufolge greifen die skizzierten Positionen zwei wichtige Punkte auf: Die erste Position - die Warnung vor einem grundlegenden Technikkonflikt - lenkt die Aufmerksamkeit auf Probleme der technischen Systemintegration der erneuerbaren Energien sowie auf die Dringlichkeit, die der Suche nach Problemlösungen inzwischen zukommt. Die zweite Position fokussiert dagegen auf das seit Jahren breiter werdende gesellschaftliche Kräftefeld, in dem kollektive Akteure (bzw. Akteursallianzen) sich für die Durchsetzung von - zum Teil konkurrierenden   energiewirtschaftlichen Zielen einsetzen. Unsere These ist allerdings, dass die Situationsdeutung im Sinne eines polarisierenden Systemkonflikts neuere Entwicklungen im deutschen Stromsektor nicht hinreichend erfasst. So werden Unterschiede im Hinblick auf sozialökonomische Interessenlagen und damit verknüpfte Umbaustrategien nicht besonders deutlich. Wir halten es dagegen für erforderlich, die sozialökonomische Ausdifferenzierung bzw. Pluralisierung des im Bereich erneuerbarer Energien anzutreffenden Akteursspektrums stärker hervorzuheben.

Im Rahmen einer Typologie unterscheiden wir sechs „Produktionsmodelle“ der Ökostromerzeugung, die sich seit dem Ende der 1980er Jahre aus einer unter sozialökonomischen Gesichtspunkten zunächst recht homogenen soziotechnischen Nische der erneuerbaren Energien entwickelt haben. Jedes der Produktionsmodelle ist mit einer typischen energiewirtschaftlichen Umbauperspektive seiner Protagonisten verbunden:

  1. Das sozialökologische Modell — „Ökologisierung und Demokratisierung der Energieversorgung“
  2. Das landwirtschaftliche Modell — „Agrarwirtschaftliche Strukturverbesserungen und neue bäuerliche Einkommensquellen durch die Ökostromerzeugung“
  3. Das mittelständische Modell — „Ökologisierung der Energieerzeugung und Umverteilung sektoraler Marktmacht“
  4. Das kommunalwirtschaftliche Modell — „Ausbau und (ökologischer) Umbau der kommunalen Energieversorgung“
  5. Das transnational-großindustrielle Modell — „Großformatige Nutzung komparativer Vorteile topographischer und meteorologischer Bedingungen der Ökostromproduktion“
  6. Das großkapitalistische Modell — „Integration erneuerbarer Energien in das zentralistische Verbundsystem“


Die Produktionsmodelle stehen für unterschiedliche Wege der Systemintegration erneuerbarer Energien, sind aber keineswegs technisch determiniert. Vielmehr sind sie mit bestimmten institutionellen Rahmenbedingungen verknüpft sowie an sozialökonomische Handlungsressourcen zurückgebunden, die die sachlichen und normativen Entscheidungsgrundlagen der Technikwahl konditionieren.

In der techniksoziologischen Debatte um große technische Systeme ging man lange davon aus, dass Netzgebundenheit zu einer tendenziell einheitlichen Systemstruktur eng gekoppelter Elemente führen müsse. Argumentiert wurde zudem, dass ein von innovativen Nischentechniken angestoßener Transformationsprozess im Erfolgsfall auf ein neues, wiederum tendenziell homogenes soziotechnisches Regime hinaus läuft. Demgegenüber sprechen unsere Befunde dafür, dass die weitere Entwicklung im deutschen Stromsektor nicht auf eine neue einheitliche Regimestruktur, sondern auf die dauerhafte Koexistenz unterschiedlicher Produktionsmodelle der Stromerzeugung bzw. die Herausbildung einer „pluralen“ Regimestruktur hinaus laufen könnte. 

Methodisch stützte sich die Untersuchung auf qualitative Fallerhebungen zu typischen Innovationsansätzen in den genannten Feldern. Wichtiges Erhebungsinstrument ist das leitfadengestützte, thematisch strukturierte Experteninterview.