Ergebnisse zur Entwicklung und Funktion internetbasierter Plattformen und den Veränderungen der Akteurskonstellationen

Im Internet existiert heute eine breite Vielfalt unterschiedlicher wissenschaftlicher Publikationsformen. Sowohl Akteure aus der Wissenschaft, wissenschaftliche Bibliotheken wie auch wissenschaftliche Verlage haben Publikationsplattformen im Internet aufgebaut. Während die Strategie der Verlage darauf abzielte, die Funktionen ihrer Journale in das neue Medium zu transferieren, richteten sich die Initiativen der Akteure aus der Wissenschaft auf Alternativen zu den bestehenden Publikationsformen oder zumindest auf deren Ergänzung. Diese beiden Strategien führen zu unterschiedlichen Entwicklungspfaden internetbasierter Publikationen. Auf der einen Seite die meist als Print- und Online-Version angebotenen subskriptionspflichtigen Journale der etablierten Verlage, auf der anderen Seite die subskriptionsfrei im Internet verfügbaren Open Access Publikationen.

Die Internet-Strategien der etablierten wissenschaftlichen Verlage zielen darauf ab, in ihren Online-Angeboten sämtliche Funktionen der (Print-)Journale zu offerieren und diese Funktionen mit wichtigen Zusatzservices zu ergänzen, die durch Internettechnologien erst möglich werden. In dem Bestreben Alleinstellungsmerkmale zu sichern haben die Verlage große Anstrengungen darauf verwandt, umfassende, proprietäre Datenbank- und Suchsysteme aufzubauen. Diese Online-Angebote bieten zwar innovative Services für die Wissenschaft, allerdings verschärfen sie deren Kostenprobleme, da die Inanspruchnahme der neuen Produkte zusätzliche Kosten verursacht.

Als Alternative zu dieser Adaption des Internet durch die kommerziellen Verlage haben sich zwei Entwicklungspfade der internetbasierten Open  Accesss Publikationsplattformen herausgebildet:

Zum einen sind dies Self-archiving-Plattformen (die sogenannte „green road“ des Open Access). Diese Plattformen sind nicht als Alternative, sondern komplementär zu den Publikationen der Verlage zu sehen. Autoren stellen Publikationen kostenfrei im Internet zur Verfügung, die auch in konventionellen Journalen, Tagungs- und Sammelbänden oder Monografien veröffentlicht werden (Preprints oder Postprints). Die Finanzierung der Self-archiving-Plattformen erfolgt meist durch Forschungseinrichtungen bzw. -organisationen. Die Zielsetzung dieser Art der Internet-Publikation liegt im kostenfreien Zugang sowie darin, neue Recherchemöglichkeiten (beispielsweise über Suchmaschinen) zu eröffnen. Die Plattformen und ihre Betreiber führen keine eigenständige Qualitätsprüfung durch.

Zum andern sind dies Open Access Journale (die sogenannte „golden road“ des Open Access). Diese sind als Alternative zu den kostenpflichtigen Publikationen der Verlage entstanden. Sie führen eigenständige Selektions- und Qualitätsprüfungsverfahren durch und konkurrieren mit den klassischen Journalen um Autoren und Leser. Dabei bedienen sie sich weitgehend den gleichen Methoden zur Qualitätsprüfung (peer review) wie klassische Verlage, allerdings entwickeln sie diese weiter (neue Formen des peer review).

Kernelement des Open Access Modells ist die Re-Integration des Publikationsprozesses (bzw. von Teilen desselben) in die Wissenschaft. Zwar entspricht die Forderung nach Open Access im Prinzip den traditionellen Handlungsrationalitäten der Wissenschaftler. Gleichwohl haben viele Open Access Plattformen (ob nun „green road“ oder „golden road“) Probleme damit, sich bei Autoren und Lesern zu etablieren. Der kritische Punkt ist der Stellenwert etablierter Journale für die Vermittlung von Reputation. Erfolgreich sind vor allem die Fälle, in denen das Konzept der internetbasierten Publikationsplattform die Eigenheiten der jeweiligen Publikationskultur einer Scientific Community nutzt, um über Open Access Aufmerksamkeit für die Publikationen zu organisieren. So knüpft das bekannte Preprint-Archiv (ArXiv. Org) erfolgreich an die etablierte Preprint-Kultur in der Physik an. Demgegenüber beruht der Erfolgt von Open Access Journalen in den Lebenswissenschaften darauf, dass etablierte Wissenschafter wie auch einflussreiche Organisationen (wie etwa die NIH) als Protagonisten für Open Access agieren und den Aufmerksamkeitswert der Publikationen erhöhen.

Mit dem Internet hat sich darüber hinaus der Kreis der Akteure erweitert, die Publisher-Funktionen ausüben. Im Zusammenhang mit den Open Access Plattformen sind meist in enger Verbindung mit der Wissenschaft verlagsähnliche Akteure entstanden (häufig in Gestalt von Non-profit-Organisationen), die als professionelle Dienstleister für die Wissenschaft Aufgaben der Herstellung von Publikationen übernehmen, die über das Internet distribuiert werden. Z.T. haben auch Bibliotheken solche Funktionen übernommen, insbesondere beim Aufbau von OA-Archiven. Weiterhin erlangen Outsider zunehmend Bedeutung für das bisherige wissenschaftliche Publikationssystem. Dies gilt z.B. für spezialisierte, kommerzielle Serviceprovider, die spezifische Lösungen – oft Software- oder Datenbanklösungen – sowohl an Verlage wie auch nicht-kommerzielle Plattformbetreiber zuliefern. Als entscheidender Impuls für die weitere Entwicklung könnte sich das Engagement von google und anderen Suchmaschinenbetreibern erweisen.

Kennzeichnend für die Veränderung des wissenschaftlichen Publikationssystems durch internetbasierte Publikationen ist die zunehmende Diversifizierung der Produkte und der Akteure, die sie erstellen. Dies führt dazu, dass die unterschiedlichen Akteure – kommerzielle Verlage, non-profit Organisationen aus der Wissenschaft und kommerzielle Serviceanbieter – zunehmend miteinander konkurrieren. Wissenschaftlern bieten sich zunehmend alternative Publikationsmöglichkeiten. Die entscheidende Veränderung der vergangenen Jahre besteht in der Entkopplung der grundlegenden Funktionen einer Publikation. Wissenschaftler können z.B. über google suchen und sich den Volltext eines Aufsatzes in einem etablierten Journal über die Homepage des Autors zugänglich zu machen. Als Autoren können Wissenschaftler ihre Veröffentlichungen auf der Webseite selbst verbreiten, in Open Access Archive einstellen oder in etablierten Journalen publizieren. Allerdings ist für den wissenschaftlichen Autor die Publikation in einem anerkannten Journal weiterhin unerlässliches Zertifikat für wissenschaftliche Qualität und Grundlage für die Bewertung der Leistung im Sinne wissenschaftlicher Anerkennung. Der Einsatz leistungsorientierter Mittelvergabe in der Wissenschaft bestärkt diese institutionalisierten Steuerungsmechanismen. Open Access Veröffentlichungen auf der „green road“ sind für Wissenschafter als Autoren – so die Vermutung – daher i.d.R. keine Alternative, sondern eine sinnvolle Ergänzung zur Veröffentlichung in einem anerkannten Journal oder bei einem anerkannten Fachverlag. In einigen Fachdisziplinen wird die Möglichkeit der „green road“ von Verlagen weitgehend akzeptiert, in anderen besteht hier aus der Sicht der Wissenschaftler weiterhin Unsicherheit. Gleichzeitig hängt die Entwicklung der Open Access Publikationsformen entscheidend von deren Inanspruchnahme durch die Wissenschaftler ab. Wie Wissenschaftler sich in diesem Spannungsverhältnisverhalten, haben wir mit einer breiten Befragung von Wissenschaftlern untersucht.