Die Veranstaltung im Detail

Erfahrungen mit einer insgesamt als zunehmend krisenhaft erlebten gesellschaftlichen Entwicklung haben dazu geführt, dass die Kritik am politischen und ökonomischen System lauter und vielfältiger geworden ist. Dabei fällt allerdings auf, dass die Arbeitswelt als Impulsgeber und Adressat von Kritik auf den ersten Blick eine nachrangige Rolle spielt. Galten Erwerbsarbeit und Arbeitsprozess vormals als das kritische Zentrum gesellschaftlicher Auseinandersetzung und Dynamik, so erscheinen sie heute eigentümlich neutralisiert. Das ist umso bemerkenswerter, als moderne Gesellschaften heute mehr denn je als Arbeitsgesellschaften zu charakterisieren sind und das Leben ihrer Mitglieder vor allem auch Arbeitsleben ist. Im Vordergrund des gesellschaftlichen Diskurses stehen Themen wie Ökologie, Finanzmärkte oder die sozialen Folgen prekärer Beschäftigung, während die Wahrnehmungen und Deutungen, die Ansprüche und Erwartungen von Arbeitenden an und in Arbeit in den kritischen Debatten kaum eine Rolle spielen. Mit der vierten Tagung in der SOFI-Tagungsreihe „Work in Progress“, die dieses Mal in Kooperation mit dem Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München und mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung stattfindet, wollen wir dies ändern und folgende Leitfragen zur Diskussion stellen: 

  • Was wissen wir über Arbeits- und Gesellschaftsbewusstsein von ArbeitnehmerInnen heute? 
  • Was dominiert heute die Sicht der Beschäftigten auf Arbeit, was sind die wichtigsten Ansprüche an Arbeit? 
  • Wie zentral und bewusstseinsprägend ist Arbeit heute noch? 
  • Wie einheitlich, wie differenziert wird Arbeit erlebt und gedeutet, in welche gesellschaftlichen Ordnungs- und Entwicklungsvorstellungen („Gesellschaftsbild“) ist dies eingebettet? 
  • Nehmen Unzufriedenheit und Kritik in der Arbeit zu, oder richtet man sich ein und passt sich an? 
  • Und mit welchen Interessenorientierungen und Ansprüchen sowie Anforderungen an Interessenpolitik verbindet sich dies? 


Mit dieser Tagung soll auch wieder angeknüpft werden an eine reiche Tradition der arbeits- und industriesoziologischen Bewusstseinsforschung, die sich mit solchen Fragen auseinandergesetzt hat – nicht zuletzt am SOFI. Auch wollen wir mit der Tagung wichtige Beiträge in der gegenwärtigen Debatte zu bündeln versuchen, bestehende Kontroversen kenntlich und diskutierbar machen und einen Rahmen für die Bestandsaufnahme und die Auseinandersetzung bieten. Die Tagung gliedert sich – nach einem Einleitungsvortrag zum Forschungsstand und den Leitfragen – in drei Panels: 

Panel 1: Ungerechtigkeitsempfinden und Legitimationsprobleme in Arbeit und Betrieb:

Im ersten Panel richten wir den Blick auf das Arbeitsbewusstsein und die Ansprüche an Arbeit und Arbeitsgestaltung. Damit hängt das Thema der Akzeptanz und Legitimität von Arbeit und betrieblicher Ordnung – und des Entstehens von Legitimationsproblemen und Ungerechtigkeitsempfinden – unmittelbar zusammen: Welche Normen und Werte – etwa im Hinblick auf Leistung, Partizipation oder Anerkennung – erwarten die Beschäftigten als gültige Normen und Werte für Arbeit und Betrieb? Wird die Arbeits- und Betriebsordnung als gerecht oder als ungerecht empfunden und kritisiert? Während die Meinungsforschung seit langem zu belegen scheint, dass sich ein allgemeines Ungerechtigkeitsempfinden hinsichtlich des Wirtschaftssystems ausbreitet, bleibt unklar, welche Gerechtigkeitsansprüche Arbeitnehmerinnen heute an Arbeit und Betrieb haben und ob sich daraus betriebliche Legitimationsprobleme ergeben. In dem Panel werden neue konzeptuelle Überlegungen sowie neuere Forschungsbefunde hierzu präsentiert und diskutiert.

Panel 2: Ungleichheitserfahrungen und Gesellschaftsbilder: milieu-, klassen- oder geschlechterspezifische Differenzen?

Die frühere Forschung war zunächst sehr „arbeiterzentriert“, bevor sie auch Angestellte und andere Arbeitnehmerinnengruppen einbezog. Im zweiten Panel geht es um die vergleichende und kontrastierende Diskussion von Differenzen (oder Konvergenzen) der Gesellschafts- und Ungleichheitserfahrung unterschiedlicher ArbeitnehmerInnengruppen: In welcher Position sehen sich Arbeitskräfte in unterschiedlichen gesellschaftlichen und betrieblichen Konstellationen? Mit welcher Art von Ungleichheit sehen sie sich konfrontiert? Die übergreifende Problemstellung lautet hier: Gibt es milieu- oder klassen- oder genderspezifische Ungleichheitserfahrungen etwa in der industriellen Produktion, im öffentlichen Sektor, unter prekär Beschäftigten oder unter „Kreativen“ – und werden dadurch gesellschaftliche Spaltungen womöglich verfestigt oder gar vertieft? 

Panel 3: Arbeitnehmerorientierungen und Interessenpolitik: Handlungspotentiale oder Blockaden?

Arbeitsbewusstsein und (Un-)Gerechtigkeitsempfinden der Beschäftigten hängen mit ihren Interessenorientierungen und Vorstellungen von Interessenpolitik und Interessenvertretung eng zusammen. Das dritte Panel fragt daher: Wie wichtig ist Interessenverfolgung und Arbeitspolitik den Beschäftigten heute überhaupt noch und welche Orientierungen herrschen diesbezüglich vor? Wie einheitlich oder wie differenziert stellen sich diese dar, befördern sie eher Solidarität oder Konkurrenz? Und dominieren heute eher Haltungen der Anpassung oder der Widerständigkeit und Opposition die Arbeitnehmerorientierungen in Arbeit und Betrieb? 

Podiumsdiskussion:

Zum Abschluss der Tagung diskutieren renommierte Fach- und Interessenvertreter/-innen über das Thema „Wohin bewegen sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?“ – ein Thema, das fraglos nicht nur wissenschaftlich, sondern auch gesellschaftspolitisch hohe Relevanz besitzt.