Projektinhalt

Neue Konstellation zwischen Hochschulbildung und Berufsausbildung

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) wurde von der Bundesregierung eingerichtet und leistet wissenschaftlich fundierte Politikberatung. Das jährliche Gutachten der EFI zu Forschung, Innovation und zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands stützt sich auf "Studien zum deutschen Innovationssystem", die von der Expertenkommission in Auftrag gegeben werden und eine indikatorenbasierte Darstellung und Analyse von Strukturen, Trends, Leistungsfähigkeit und Perspektiven des deutschen Forschungs- und Innovationssystems im zeitlichen und internationalen Vergleich zum Ziel haben. Im Rahmen der Studien werden ergänzend aktuelle Schwerpunktfragen begutachtet. Gemeinsam mit dem DZHW erstellte das SOFI für das Berichtsjahr 2014 ein Gutachten zu den Veränderungen im Verhältnis von Hochschulbildung und Berufsausbildung vor dem Hintergrund von demografischem Wandel und Studienstrukturreform und ihren Folgen für das deutsche Produktions- und Innovationsmodell.

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik waren 2011 die Zahlen der Studienanfänger und -anfängerinnen mit 519.000 fast genauso hoch wie die Neuzugänge im dualen System der Berufsausbildung (524.000). Die quantitative Angleichung signalisiert eine neue Konstellation zwischen den beiden Hauptausbildungssektoren in Deutschland, deren Dynamik angesichts der demografischen Entwicklung und der möglichen mit ihr einhergehenden Fachkräfteengpässe erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen ist.

Im letzten Jahrhundert konnten die beiden Hauptausbildungssysteme institutionell gegeneinander weitgehend abgeschottet („Bildungs-Schisma“, vgl. Baethge 2007) existieren, ohne dass daraus erkennbare ökonomische Nachteile erwachsen wären. Das institutionelle Schisma kannte schmale Übergänge aus dem Beruf vor allem in den Fachhochschulsektor, in den eine begrenzte Zahl qualifizierter Facharbeiter(innen) über den Zweiten Bildungsweg oder Fortbildungsangebote von Fachschulen für Meister- und Technikerzertifikate gelangten. Dieser Weg verengte sich in den 1990er Jahren, in denen der Zugang zu Fachhochschulen verstärkt über die in Fachoberschulen oder Fachgymnasien erworbene Fachhochschulreife erreicht wurde. Wie sich die Gesamtkonstellation duale Berufsausbildung, Fortbildung über Fachschulen, Fachhochschul- und Hochschulbildung unter der dreifachen Bedingung von demografischer Entwicklung, verstärktem Zustrom zur Hochschule und Studienstrukturreform entwickeln könnte, soll durch die Analyse geklärt werden.

Dabei scheint es im Interesse eines bearbeitbaren Volumens sinnvoll, sich auf die Zusammenhänge zwischen ingenieurwissenschaftlicher Kompetenz (MINT-Berufe) und Facharbeiterausbildung zu konzentrieren, die für das hoch erfolgreiche Produktions- und Innovationsmodell der deutschen Industrie bis heute zentral sind. In eigenen Untersuchungen hat das SOFI seit langem die engen Zusammenhänge zwischen den beiden Qualifikationsebenen bei industriellen Innovationsprozessen analysiert, die sich darin äußern, dass auch Facharbeiter(innen) in Forschungs- und Entwicklungsprojekte einbezogen werden. Insofern ist es für die Zukunft des deutschen Produktionsmodells essentiell, dass der Fachkräftebedarf auf beiden Qualifikationsebenen gesichert werden kann. Hierzu ist das bisherige Bildungs-Schisma zu überwinden und sind neue Formen der Durchlässigkeit von der Berufsausbildung in die Hochschule zu finden, um eine unproduktive Konkurrenz zwischen den Ausbildungssektoren zu vermeiden.

Literatur:
Baethge, Martin (2007): Das deutsche Bildungs-Schisma: Welche Probleme ein vorindustrielles Bildungssystem in einer nachindustriellen Gesellschaft hat. In: Wirtschaft und Erziehung. 59 (2007) Nr. 1, S. 3-11.